Tina Winkhaus

HOPE

2005

Als ich ein Kind war,
redete ich wie ein Kind,
dachte wie ein Kind
und urteilte wie ein Kind.
Als ich ein Mann wurde,
legte ich ab, was Kind an mir war.
Paulus, 1 Korinther 11


Was genau wird anders, wenn wir erwachsen werden?

Wachstum und Veränderung unseres Körpers gehen mit der Veränderungdes Bewusstseins einher und die Großen, die uns plötzlich anders behandeln, weil sie beschlossen haben, dass wir fortan zu ihnen gehören, tun das Ihrige.

Sie sind es, die uns ab einem bestimmten Alter die Scham anerziehen und die das Fehlen derselben kritisieren. Ist das Gegenteil von Schuld Unschuld, gibt es zu Scham keinen positiv konnotierten Gegensatz. Schamlosigkeit gilt als eine der übelsten Eigenschaften, Stolz ist eine Untugend und nur mit dem Attribut „kindlich“ versehen etwas Reines, Unschuldiges.

Winkhaus, geboren 1966 in Essen, drückt in ihren neuen Bildern, einer Serie großformatiger Fotografien mit dem Titel „Hope“, den Wunsch aus, sich an ihre Vergangenheit zu erinnern. Sich erinnern im proustschen Sinne, an das Verlorene, als das Proust - wie auch Winkhaus - die Kindheit und ihre Synonym, die Unschuld, betrachten, und dabei auch in die Zukunft zu weisen, denn Kinder stehen klassischerweise auch für Hoffnung, die sich immer auf etwas in der Zukunft liegendes richtet. Entsprechend traum- oder visionsartig wirken ihre aus vielen Ebenen bestehenden Fotografien, auf denen meist Kinder zu sehen sind, angezogen oder nackt, zusammen mit Erwachsenen oder allein, für sich.

In Zeiten, in denen alles schon gesehen und dazu beinahe alles schon gedacht worden ist, echauffieren sich Betrachter der Bilder von Winkhaus manchmal auf ähnliche Weise, wie es zu Zeiten Balthus’ geschah. Schuld an den neuen alten Reflexen ist der Rückkopplungseffekt, den das Internet, die Waffe der Kinderpornografen, auf die Fotografie einer Winkhaus oder auch auf die Malerei eines Martin Eder hat.

Damals wie heute heißt es, die Kinder, die sich ihrer Wirkung nicht bewusst seien, kompromittierten den Betrachter. Erstaunlich bleibt, wie sehr das in der christlichen Kunst ständig wiederkehrende Thema der kindlichen Unschuld seit der Moderne immer wieder dieselben Reflexe auslöst und wie stark die emotionale Aufgeladenheit von ‘Winkhaus’ Bildern daraus gespeist wird. „Honi soit qui mal y pense“, ein Schuft ist, wer Schlechtes dabei denkt, trifft auch auf die Arbeiten von Winkhaus zu, die es grundsätzlich vorzieht, ungeschlechtlich zu denken - denn frei ist, wer keine festgelegten Rollenbilder hat.

Der Grausamkeit mancher Situationen, die sie inszeniert und dabei impliziert, dass diese unter den Augen, vielleicht sogar unter der Mitwirkung ihrer kindlichen Protagonisten stattgefunden haben, setzt sie eine makellose Schönheit und damit Selbstverständlichkeit entgegen.

Wo das kleine Mädchen wie ein Nachtmahr auf dem Mann ohne Kopf hockt, will sich trotzdem kein Schrecken einstellen, sondern meditative Ruhe. Das Mädchen schaut so gelöst und angstfrei, das Sofa ist von so betörend biedermeiergrün in der Farbe der Hoffnung leuchtendem Samt und der nach hinten sich düster verdichtende Wald wirkt nach vorn hin offen wie eine Bühne. Die ebenfalls im Wald kampierende Familie erinnert sowohl an die heilige Familie, als auch an eine vielleicht verlorengegangene Expedition in der Hoffnung auf Rettung. 

Die Kinder halten das Licht in den Händen und wirken wie Schutzengel ihrer Eltern, die Familie als Forschungsreise mit den Kindern als den eigentlichen Entdeckern.

....Expedition in der Hoffnung auf Rettung. 

Durch ihre bemerkenswerte Technik der Bildkomposition aus einzelnen Layers, die sie zuvor fotografiert hat und digital bearbeitet, hat Winkhaus Arbeit Aspekte der Malerei ebenso wie der Regie. Minutiös und in Zusammenarbeit mit  Hugo Schneider, der ihr als Setdesigner, Kostümbildner und Stylist kongenial zur Seite steht, plant sie jede einzelne Aufnahme. Sie kann einzelne Figuren zu einer Konstellation zusammenfügen und eine vermeintlich stattgefunden habende Situation erzählen, in die der Betrachter stärker involviert wird als in die rein fotografische Abbildung einer statischen Inszenierung.

Unübersehbar ist die Gegenwart des Todes, mal in der Andeutung des Verlorenseins im Wald, mal in Gestalt des toten Vogels, den das Mädchen mit dem Blumenschmuck im Haar in  „The bird is dead“ vor sich herträgt.

Doch Winkhaus, die 2006 ihre eigene Beerdigung für ein Bild inszenierte, wäre nicht Winkhaus, wenn sie nicht anschließend in einer weiteren Arbeit ihre Wiederauferstehung zelebriert hätte. Ihr Hang zur Tragödie, ihre Sehnsucht nach sich selbst, ihr Schöpfen aus dem eigenen Leben machen ihre Kunst kraftvoll, ihre Bilder mächtig wie Träume. Mit ihren von Symbolen überbordenden Bildern eröffnet sie eine Welt voller Melancholie, düsterer Romantik, ohne Angst vor Pathos oder Morbidität – eine Welt, die jeder von uns wahrscheinlich schon einmal in seinen Träumen betreten hat und hier nun in aller Ruhe besuchen kann, auf der Suche nach seiner verlorenen Erinnerung.

Text: Ophelie Abeler

(scroll down for english version)

The girl with the old man, 2005
The boy with the apple basquet, 2005
The blind angel, 2005
Is this bird dead?, 2005
The obedience, 2005
Don't you see the witch behind you, 2005
They, who are delivering the light, 2005
Too late, 2005
What's up Daddy, 2005

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HOPE

2005

When I was a child,

I talked like a child,

I thought like a child,

I reasoned like a child.

When I became a man,

I put childish ways behind me

Corinthians 13

 What changes when we grow up?

 Growth and changes in the child's mind are induced by adults and the physical developments the child experiences. The process is supported by grown-ups who suddenly treat children differently because they decided they now rank amongst them. 

Adults are the ones who install shame and at the same time criticize its absence. If the opposite of guilt is innocence, then there is no positive contrast for shame. Shamelessness is regarded as one of the most disgusting qualities, pride is a bad habit, only when assigned with a childlike attribute it appears innocent and pure.

With her new series of larg-sized "Hope" photographs, Tina Winkhaus, born 1966 in Essen, Germany, expresses her wish to be reminded of her own past. Much like Proust, remembering lost childhood and innocence is a central pillar in Winkhaus' work as well as the portrayal of children as symbols of future-hope.

Correlating with this thesis her photographs seem to be build from many different levels, intertwined in dreamy and visionary ways, and show, in most cases,  dressed or naked children, together with grown-ups or alone.

In a time that has seen everything and nearly all has been thought of, viewers of Tina Winkaus' pictures are provoked, sometimes in a similar way as viewers of  Balthus' work. The new/old reflex is a feedback mechanism, caused by the Internet - the weapon of child pornographers.  But these days, this feedback mechanism effects the perception of the photography of Tina Winkhaus or the paintings of Martin Eder.

This evocation repeats. The children, not aware of their impression they make, compromise the spectator. Since the beginning of modern times the reoccurring topic of childish innocence in Christian inspired art prompted similar sentiments. And the viewer can not help but experience the same emotionally overloaded reaction that plagued all these generations before her.  "Honi soit qui mal y pense" - "shame upon him, who thinks evil upon it" matches Winkhaus' works.  She favors thinking outside of genders keeping her work free of role models. She confronts the cruelty of some situations, in which she implies a participation or even a possible contribution of her childish protagonists, with a pristine beauty that evokes naturalness.

The small girl sitting like a nightmare on the headless man still does not elicit horror, but only meditative silence. A look filled with ease and free from fear, a tantalizing glow in the Biedermeier green, and the backdrop dense trees opening up to the front like a stage. In the background a family is camping in the forest, a hint to the holy family, or a lost expedition hoping for a rescue. The kids hold the lights in their hands and appeal like guardian angels to their parents. The family symbolizes an expedition and the children are the true discoverers.

Winkhaus' technique of layering different pictures to create a new composition enables her to include aspects from painting and directing into her work process. In collaboration with set designer, costume designer and stylist Hugo Schneider, she plans every detail of a shot meticulously. She assembles single characters to a constellation and tells a story that allegedly happened, involving more of the beholder than in a one-set, one-shot, photography. Conspicuous is the presence of death, once as the suggestion of being lost in the woods, once as a dead bird that is carried by a girl with flowers in her hair in the work "The bird is dead". 

Back In 2006 Tina Winkhaus produced her own funeral, but it would not be a typical Winkhaus work without celebrating the following resurrection. Her penchant to tragedy, her desire for the true self, the experiences from her own life make her art so powerful and her pictures mighty like dreams. With her highly symbolic pictures she opens a world of melancholy, dark romance, unafraid of pathos and morbidity - a world, which maybe reminds everybody of our lost hopes.

 

Translation: Jambi & Anna (crazy big love dot net)